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Homo Oeconomicus
Experimente zum Thema
- Diktator- und Ultimatumspiel
- Lohnverhandlungen
- Rolle der Verhandlungsmacht
Hinweis Glossar:
Einige Begriffe werden in unserem Glossar erklärt.
(in Bearbeitung)
Verhaltensmodelle in den Wirtschaftswissenschaften
Wirtschaftswissenschaftler*innen stellen Modelle u.a. des unternehmerischen und privaten wirtschaftlichen Handelns oder von Märkten auf, um mit diesen die Realität zu erklären und um Empfehlungen für das wirtschaftliche Handeln in den jeweiligen Situationen zu geben. Für solche Modelle ist es notwendig Annahmen darüber zu treffen, wie Menschen sich in wirtschaftlichen Situationen verhalten. Solche Annahmen bilden ein Verhaltensmodell.
Das zentrale Verhaltensmodell der Wirtschaftswissenschaften ist der Homo Oeconomicus. Gemäß den Annahmen dieses Verhaltensmodells handelt der Homo Oeconomicus individuell rational, d.h. er entscheidet frei von Emotionen, orientiert sich stets nur an seinem eigenen Nutzen und macht keine Fehler bei der Informationsaufnahme und -verarbeitung. Zwar geht man in den klassischen Wirtschaftstheorien davon aus, dass sich alle Menschen so wie Homo Oeconomicus verhalten. Dennoch ist Ökonomen bewusst, dass aus den Annahmen des Homo Oeconomicus in vielen Situationen keine zutreffende Beschreibung tatsächlichen menschlichen Handelns folgt. Aber jedes Modell menschlichen Verhaltens ist das Ergebnis einer Abwägungsentscheidung: Einerseits soll es realistisch sein, andererseits soll es konkrete Vorhersagen darüber erlauben, wie sich Menschen in wirtschaftlichen Situationen verhalten. Deshalb hat das Verhaltensmodell des Homo Oeconomicus einen großen Vorteil, gerade weil seine Annahmen extrem sind: Es hält wirtschaftstheoretische Modelle einfach und aussagekräftig. Zum Beispiel sind Vorhersagen des Verhaltens in Wettbewerbssituationen (Funktionsweise von Märkten) auf Basis des Verhaltensmodells des Homo Oeconomicus möglich, während andere, komplexere Modelle menschlichen Verhaltens die Analyse so schwierig machen würden, dass man kaum zu irgendeiner klaren Vorhersage käme.
Menschliches Verhalten vs. Homo Oeconomicus
Bei den ersten beiden Experimenten zum Thema Mensch versus Homo Oeconomicus, „Diktatorspiel und Ultimatumspiel“, geht es um menschliches Verhalten in sehr einfachen Situationen, in denen es um die Aufteilung eines Geldbetrages geht.
Obwohl das Verhaltensmodell des Homo Oeconomicus ein zentraler Bestandteil der Wirtschaftswissenschaft ist, lässt sich reales menschliches Verhalten oft nicht mit den Annahmen dieses Verhaltensmodells erklären. In den vergangenen Jahrzehnten haben sich daher viele ökonomische Studien mit Abweichungen des menschlichen Verhaltens von dem des Homo Oeconomicus befasst und so die sogenannte Verhaltensökonomik begründet. Die Verhaltensökonomik ist zwar ein relativ junger Bereich der Wirtschaftswissenschaften, hat ihre Ursprünge aber ebenfalls in Arbeiten klassischer Ökonomen. Beispielsweise schrieb Adam Smith (1723-1790) nicht nur „The Wealth of Nations“ (Der Wohlstand der Nationen), sondern auch „The Theory of Moral Sentiment“ (Die Theorie moralischer Gefühle), worin er er psychologische Prinzipien des individuellen Verhaltens beschrieb. Die Verhaltensökonomik untersucht, inwieweit Menschen bei ihren wirtschaftlichen Entscheidungen gegen die Vorhersagen des Verhaltensmodells des Homo Oeconomicus verstoßen. Die beiden prägenden Annahmen dieses Verhaltensmodells sind der finanzielle Eigennutz und die umfassende, fehlerfreie Informationsaufnahme und -verarbeitung. Entsprechend gibt es zwei große Teilbereiche der Verhaltensökonomik.
Der erste Teilbereich beruht auf der Beobachtung, dass Menschen nicht allein an unseren eigenen finanziellen Vorteil denken, sondern Gerechtigkeits- bzw. Fairnessüberlegungen anstellen. Menschen beurteilen Gerechtigkeit bzw. Fairness im Hinblick auf (mindestens) zwei Aspekte: Verteilungsgerechtigkeit und Prozessgerechtigkeit. Während Verteilungsgerechtigkeit sich auf das Ergebnis der Verteilung von Gütern, Geld oder anderem bezieht, also darauf, wer am Ende was bzw. wieviel bekommt, bezieht sich Prozessgerechtigkeit darauf, ob der Weg zu einer Verteilung, d.h. der Entscheidungsprozess, der zur Verteilung geführt hat, fair ist. Ein Beispiel ist ein neues Steuergesetz, das nicht nur danach beurteilt wird, wer wie viele Steuern zu bezahlen hat (Verteilungsgerechtigkeit), sondern auch danach, wie es zustande gelkommen ist (also ob beispielsweise eine Lobbygruppe starken Einfluss auf die Gesetzgebung genommen hat).
Der zweite Teilbereich der Verhaltensökonomik, der sich mit der menschlichen Informationsaufnahme und -verarbeitung beschäftigt, ist der Wirtschaftspsychologie zuzuordnen. Hier geht es insbesondere um systematische Verzerrungen in der menschlichen Wahrnehmung (sogenannte Biases) und um Heuristiken, d.h. „Abkürzungen“, die der Mensch nimmt, um schneller ein Urteil zu bilden. Ein Beispiel für eine Verzerrung ist der Confirmation Bias oder Bestätigungsfehler: Danach gewichten Menschen Information stärker, die ihre bereits vorhandene Meinung bestätigen, auch wenn diese Informationen weniger zuverlässig sind als andere Informationen, die gegen ihr (Vor-)urteil sprechen. Heuristiken wenden wir Menschen zum Beispiel an, wenn wir ein Urteil darüber bilden müssen, wie wahrscheinlich ein mögliches Ereignis ist. Dabei überschätzen wir zum Beispiel tendenziell die Wahrscheinlichkeit von Ereignissen, die uns vertraut sind (Verfügbarkeitsheuristik).
Verteilungsgerechtigkeit: Altruismus, Fairness, Macht
Verteilungsspiele: Diktatoren und Ultimaten
Die drei Experimente zum Thema beziehen sich auf den ersten Teilbereich der Verhaltensökonomik, und hier auf das Thema Verteilungsgerechtigkeit. Die Experimente wurden in den 1980er Jahren entwickelt und illustrieren auf sehr einfache Weise, dass Menschen nicht allein durch finanziellen Eigennutz geleitet sind, dass aber auch gilt: Die Vorhersage des Verhaltensmodells Homo Oeconomicus ist keineswegs immer falsch.
Das Experiment „Diktatorspiel“: Dieses Experiment ist vor allem im Zusammenhang mit den beiden nachfolgenden Experimenten bedeutsam. Für sich genommen illustriert es lediglich einen trivialen Sachverhalt: In einer (künstlich durch das Experiment hergestellten) Situation, in der sie darüber entscheiden sollen, einen Geldbetrag für sich allein zu behalten oder aber einen Teil davon an eine andere Person abzugeben, entscheiden sich die meisten Menschen dafür, etwas abzugeben. Das Spiel hat seinen Namen aufgrund der Spielregel, nach der es zwei Personen gibt, aber nur eine der Personen entscheidet und deshalb eine Aufteilung diktiert. Die Person hat (annahmegemäß) 100 Euro zur Verfügung und entscheidet darüber, welchen Geldbetrag sie an eine andere Person abgibt.
Die Experimente „Ultimatumspiel 1 zu 1“ und „Ultimatumspiel 1 zu 3“: In beiden Spielen diktiert nicht mehr eine Person die Aufteilung. Im „Ultimatumspiel 1 zu 1“ entscheiden zwei Personen darüber. Allerdings hat eine Person die Rolle der Anbieterin / des Anbieters und stellt wegen der Regeln des Spiels der anderen Person ein Ultimatum: Die Anbieterin schlägt eine Aufteilung der 100 Euro vor, und die andere Person kann den Vorschlag annehmen oder ablehnen, aber keinen Gegenvorschlag machen. Nimmt sie an, gilt die vorgeschlagene Aufteilung. Lehnt sie ab, verfallen die 100 Euro und beide erhalten nichts. Im „Ultimatumspiel 1 zu 3“ macht wiederum eine Person einen Vorschlag über die Aufteilung des Geldes. Nun aber geht der Vorschlag gleichzeitig an drei andere Personen, und der Vorschlag gilt als angenommen, wenn auch nur eine der Personen ja dazu sagt.
Am Diktatorspiel lässt sich das Verhaltensmodell des Homo Oeconomicus sehr einfach veranschaulichen, denn Homo Oeconomicus behält all sein Geld für sich und gibt nichts ab. Ganz anders aber sieht die Situation im zweiten Experiment zum Thema aus. Im Ultimatumspiel „1 zu 1“ mit nur zwei beteiligten Personen würde zwar der Homo Oeconomicus jeden Aufteilungsvorschlag, der ihm mehr als 0 Euro gibt, annehmen. Aber wenn Homo Oeconomicus als Anbieter erwartet, dass er nicht auf einen zweiten Homo Oeconomicus trifft, wird er sich hüten, eine Aufteilung anzubieten, die ihm 99 Euro und der anderen Person nur 1 Euro geben würde. Denn viele Menschen empfinden solche Aufteilungen als unfair und lehnen sie ab. Der Anbieter muss also überlegen, welche Aufteilung akzeptiert wird. Viele Menschen handeln in dieser Situation nach dem Motto „Fair ist halbe-halbe“ und bieten die Aufteilung 50 Euro für jeden an. So stellen sie (nahezu) sicher, dass das Angebot angenommen wird. Beim Ultimatumspiel „1 zu 3“ ändert sich die Situation erneut: Nun stehen drei Personen in Konkurrenz zueinander, denn wenn eine Person eine Aufteilung ablehnt, dann erhält möglicherweise eine andere Person das Geld. Meistens führt die Konkurrenz dazu, dass auch unfaire Angebote (bei denen der Anbieter mehr als 50 Euro behalten will) angenommen werden. Sehen die Anbieter das voraus, bieten sie entsprechend weniger an.
Die Ergebnisse der Experimente lassen sich mit dem menschlichen Bedürfnis nach Verteilungsgerechtigkeit erklären, aber auch mit einem anderen Aspekt menschlichen Verhaltens, der sich im Grundsatz „wie du mir so ich dir“ ausdrückt. Nach diesem Grundsatz ist menschliches Verhalten durch Reziprozität gekennzeichnet, d.h. kooperatives, freundliches, faires Verhalten wird mit ebenfalls kooperativem, freundlichem und fairem Verhalten beantwortet, wohingegen gegenteiliges Verhalten entsprechend negativ beantwortet wird.
Die Ergebnisse der Experimente lassen sich auch durch soziale Normen erklären. „halbe-halbe“ ist solch eine soziale Norm: Sie besagt, dass gerechte Aufteilungen darin bestehen, dass jeder den gleichen Anteil erhält, es sei, es gibt Gründe, davon abzuweichen (zum Beispiel Unterschiede in der Bedürftigkeit der Beteiligten Personen oder Leistungsunterschiede, wenn die Aufteilung erst möglich wird, nachdem der aufzuteilende Vorteil erarbeitet wurde). Bestehende soziale Normen haben Einfluss auf menschliches Verhalten, aber Verhalten kann seinerseits dazu beitragen, dass soziale Normen entstehen bzw. durchgesetzt werden. Beispielsweise kann die Ablehnung einer unfairen Aufteilung im Ultimatumspiel als Versuch verstanden werden, den Anbieter dazu zu bringen, zukünftig von sich aus faire Aufteilungen anzustreben.
Schließlich zeigt ein vergleich der Ultimatumspiele „1 zu 1“ und „1 zu 3“, dass Machtverteilungen eine großße Rolle spielen. im Spiel „1 zu 1“ kann man darüber streiten, wer macht hat: Die Person, die die Aufteilung vorschlägt oder die Person, die mit ihrer Ablehnung alles zunichte machen kann. Im Vergleich dazu hat der Anbieter im Spiel „1 zu 3“ mehr Macht und kann diese Macht dazu benutzen, sich einen größeren „Anteil am Kuchen“ zu sichern. Machtverteilungen sind in Gesellschaften zum teil so tief verankert, dass die Macht als selbstverständlich angesehen und somit legitimiert wird.
Diktator- und Ultimatum-Spiele in der Realität?
Die Experimente zum Thema machen einen artifiziellen Eindruck. Deshalb stellt sich die Frage, wofür sie eigentlich in der Realität stehen. Tatsächlich befinden wir uns gar nicht so selten in Rollen, die wir auch im Diktator- oder Ultimatumspiel sehen. Jeder Gast eines Restaurants, der über die Höhe des Trinkgeldes entscheidet, spielt de facto ein Dikatorspiel. Dasselbe gilt für Spenden an wohltätige Organisationen oder auch für „pay what you want“ Modelle, bei denen Kunden selbst entscheiden, wie viel sie bezahlen. Und natürlich sind wir auch in der Situation des Diktatorspiels, wenn wir Gäste im Restaurant bedienen oder Spenden sammeln.
Weit häufiger sind wir in der Situation des Ultimatumspiels, denn das Spiel ist letztlich die Grundform der Verhandlung: Eine Person macht ein Angebot, die andere schlägt ein oder lehnt ab und geht. Jeder Kauf im Kaufhaus oder im Supermarkt entspricht dem Ultimatumspiel (es sei denn, sie haben schon einmal an der Supermarktkasse gesagt: „Ich kaufe den Liter Milch nur, wenn Sie den Preis um 20 Cent senken!“).
Ein gutes Beispiel für ein Ultimatum-Spiel in der Realität ist der Arbeitsmarkt. Unternehmen beschäftigen Arbeitskräfte, um Produkte herzustellen oder Dienstleistungen anzubieten. Damit verdienen sie Geld, und die Verteilung des Geldes unter den Arbeitskräften und Eigentümern wird durch die Höhe der Löhne bestimmt. Hat die betreffende Arbeitskraft keine Verhandlungsmacht in dem Sinne, dass sie selbst eine Lohnforderung stellen kann, dann wird sie nur das Lohnangebot des Unternehmens annehmen oder ablehnen können. Lehnt die Arbeitskraft ab, wird das Unternehmen wahrscheinlich eine andere Person einstellen. Lehnen aber alle arbeitssuchenden das Lohnangebot ab (weil niemand bereit ist, für so geringen Lohn zu arbeiten), so fehlen dem Unternehmen die Arbeitskräfte um Güter herzustellen und Dienstleistungen anzubieten, und dann gibt es kein Geld aufzuteilen. Das Beispiel stellt offenbar eine Verbindung zum Thema Märkte her <<<link einfügen>>>: Die Frage nach der Preisbildung am Arbeitsmarkt ist eng verbunden mit der Konkurrenzsituation unter den Arbeitssuchenden, der Verhandlungsmacht der Arbeitgeber und der Vorstellung der Arbeitgeber und Arbeitssuchenden darüber, welche Aufteilung des Geldes auf Arbeitskräfte und Eigentümer (noch) fair ist.
Das Ultimatumspiel in der Variante „1 zu 3“, in der drei Personen in unmittelbarer Konkurrenz zueinander stehen, lässt sich interpretieren als eine Situation, in der ein Unternehmen unter mehreren gleichwertigen Arbeitssuchenden wählen kann. Denn im Spiel ist jede der drei Personen für den Anbieter austauschbar. In der Realität findet man eine solche Situation in Billiglohnsektoren vor, in denen gering qualifizierte Arbeitskräfte beschäftigt werden, die aus Sicht der Unternehmen leicht austauschbar sind und unter denen deshalb große Konkurrenz herrscht. Eine kleine Abwandlung des Ultimatumspiels „1 zu 3“ aber zeigt, dass sich die verhandlungsmacht auch schnell verschieben kann. Dazu muss man nur annehmen, dass die drei Empfänger des Angebots sich absprechen und eine Vereinbarung darüber treffen können, welche Angebote sie alle drei zugleich annehmen bzw. ablehnen. Das reale Pendant zu dieser Abwandlung des Spiels ist eine Gewerkschaft: Gewerkschaftsvertreter verhandeln im Namen aller Arbeitnehmerinnen und schaffen somit eine Gegenmacht zu derjenigen der Arbeitgeber (die sich entsprechend auch in Arbeitgeberverbänden zusammenschließen).
Schließlich können sich die Rollen am Arbeitsmarkt aber auch völlig umkehren: Immer dann, wenn arbeitssuchende Menschen besondere Fähigkeiten besitzen, sind es die Unternehmen, die in Konkurrenz zueinander stehen und um dieselben Arbeitskräfte buhlen. Beispiele dafür sind Fußballspieler*innen oder Schauspieler*innen, die aufgrund ihrer Einzigartigkeit keine (oder nur sehr wenig) wenig Konkurrenz am Arbeitsmarkt haben.
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